
Hamburg/Jork (dpa/lno) – Gegen die Eltern des 20-Jährigen, der unter dem Namen «White Tiger» im Internet Kinder bis in den Suizid getrieben haben soll, laufen zunächst keine Ermittlungen. «Es liegen derzeit keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten der Eltern des Beschuldigten vor», sagte Oberstaatsanwältin Mia Sperling-Karstens der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. Zuvor hatten mehrere Medien berichtet.
Sichergestellte Beweise werden weiter ausgewertet
Die Ermittlungen gegen den Deutsch-Iraner dauern der Staatsanwaltschaft zufolge weiter an. Die bei der Festnahme vor fast einer Woche sichergestellten Beweise würden weiter ausgewertet. Die Einsatzkräfte hatten unter anderem ein Notebook, ein Tablet, ein Handy und eine Festplatte mitgenommen. Experten des Landeskriminalamtes untersuchen diese Geräte nun. Zudem soll der Mann noch psychiatrisch begutachtet werden.
Der 20-Jährige, der zeitweise an einer privaten Uni Medizin studiert hatte, streitet alle Vorwürfe pauschal ab. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gilt der Verdächtige als unschuldig. Der Verdächtige sitzt derzeit im Jugendgefängnis auf der Elbinsel Hahnöfersand bei Jork in Niedersachsen.
Die Vorwürfe gegen den 20-Jährigen wiegen schwer: Er soll zwischen Januar 2021 und September 2023 unter dem Pseudonym «White Tiger» aus sexueller Motivation heraus acht Kinder im Alter von 11 bis 15 Jahren in Live-Chats zu Gewalt gegen sich selbst gezwungen haben.
Die Kinder stammen aus Deutschland, England, Kanada, USA, zwei aus Hamburg und eines aus Niedersachsen. Ein 13-jähriger US-Amerikaner wurde den Ermittlungen nach in den Suizid getrieben, eine 14-jährige Kanadierin habe versucht, sich umzubringen. Es geht um 123 Straftaten.
Dem jungen Mann werden unter anderem Mord, versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, teils schwerer sexueller Missbrauch von Kindern sowie Besitz von kinderpornografischen Dateien vorgeworfen.
Verurteilung nach Jugend- oder allgemeinem Strafrecht möglich
Im Jugendstrafrecht gilt der Staatsanwaltschaft zufolge eine Jugendstrafe von fünf Jahren als schwerwiegendste Maßnahme. Bei Verbrechen, die im Erwachsenenstrafrecht mehr als zehn Jahre Haft vorsehen, sind im Jugendstrafrecht maximal zehn Jahre möglich. Das wäre bei Mord der Fall. Besteht bei einem Heranwachsenden zudem eine besondere Schwere der Schuld, ist eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren möglich.
Zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Taten war der Verdächtige zwischen 16 und 19 Jahre alt – er könnte also sowohl nach Jugend- als auch nach allgemeinem Strafrecht verurteilt werden. Je nachdem, bei welchen Taten das Schwergewicht liege, werde einheitlich entweder das eine oder das andere angewendet, sagte die Oberstaatsanwältin weiter.
Internationale Ermittlungen gegen Sadisten-Internet-Gruppe
Der junge Mann hatte sich vor einer Woche in der Nacht zu Dienstag widerstandslos im Haus seiner Eltern festnehmen lassen. Er war von der Polizeiaktion seiner Anwältin zufolge im Schlaf überrascht worden und saß zum Zeitpunkt der Festnahme nicht am Computer.
Der Festnahme waren monatelange Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Pädokriminellen und die internationale sadistische Internet-Gruppe «764» vorausgegangen. Erst ein Hinweis des FBI hatte die deutsche Polizei auf die Spur des Verdächtigen gebracht.