
Hamburg (dpa/lno) – Hamburgs Jugendliche sind in ihrer Freizeit immer länger und problematischer im Internet unterwegs. Betrug die Online-Zeit außerhalb von Schule und Arbeit 2012 noch durchschnittlich 3,2 Stunden pro Tag, sind es inzwischen fünf Stunden, wie es in der am Dienstag veröffentlichten neuen Schulbus-Studie heißt. Schulbus steht für Schüler*innen- und Lehrkräftebefragungen zum Umgang mit Suchtmitteln. Für die inzwischen neunte Untersuchung seit 2004 wurden den Angaben zufolge in Schulen rund 1.700 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren befragt.
Nutzungsverhalten bei einem Viertel der Jugendlichen problematisch
Gemäß der Compulsive Internet Use Scale (CIUS) – sie erfasst die Kernelemente von Internetabhängigkeit mit 14 Kriterien – könne inzwischen das Nutzungsverhalten von einem Viertel aller Jugendlichen als problematisch eingestuft werden – dreimal mehr als noch im Jahr 2021. Bei Computerspielen sei der Anteil auffälliger Jugendlicher von vier Prozent im Jahr 2009 auf sieben Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Mehr als acht Prozent gaben zudem an, mehrmals im Monat an Glücksspielen teilzunehmen, obwohl das eigentlich verboten ist, wie der Drogen- und Suchtforscher Theo Baumgärtner von der Fachstelle Sucht.Hamburg sagte.
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sagte, anders als bei klassischen Drogen, bei denen sich die Suchthilfe um eine vollkommene Abstinenz drehe, gehe es bei der Mediennutzung darum, einen gesunden Umgang damit zu finden. Das sei auch eine Erziehungsaufgabe. Schlotzhauer räumte ein, es sei nicht einfach durchzusetzen, dass die Zeit für die Handynutzung abgelaufen sei. «Aber ich glaube, da kommt man nicht drumherum.» Es müsse nicht nur in der Schule, sondern auch im Privatbereich Regeln geben.
Görg: Müssen junge Menschen in der digitalen Welt besser schützen
«Wir müssen junge Menschen in der digitalen Welt besser schützen», sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen Fraktion, Linus Görg. Der Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen sei in Zeiten von Tiktok & Co alarmierend gestiegen. «Wir sehen hier eine Zunahme problematischer Nutzung, die soziale und psychische Probleme verstärken kann.» Dies könnte auch eine Spätfolge der Corona-Pandemie sein. Für die CDU-Gesundheitsexpertin Christin Christ ist die aktuelle Debatte über Altersgrenzen zur Nutzung von sozialen Medien ein richtiger Schritt.
Sorgen bereitet Schlotzhauer auch das Thema Essstörung. Die Schulbus-Studie sei kein Diagnoseinstrument, betonte Baumgärtner. Aber es sei festzustellen, dass ein Drittel der Jugendlichen in den letzten zwölf Monaten mindestens eine Diät gemacht habe. 42 Prozent wiederum sagen, dass sie aufgrund des eigenen Körpergewichts manchmal bis häufig unter Stimmungsschwankungen litten. 39 Prozent halten sich der Studie zufolge für übergewichtig, obwohl nur neun Prozent es tatsächlich seien. Insgesamt seien von möglichen Essstörungen 49 Prozent der Mädchen und 19 Prozent der Jungen betroffen.
Schlotzhauer: Deutliche Verbesserungen in anderen Suchtbereichen
In anderen Suchtbereichen seien dagegen deutliche Verbesserungen festzustellen, sagte Schlotzhauer: «Hamburgs Jugendliche konsumieren weniger Alkohol, weniger Tabak, weniger Cannabis und weniger chemische Drogen.» So gaben nach Angaben der Senatorin 69 Prozent der befragten Jugendlichen an, noch nie betrunken gewesen zu sein, 76 Prozent hätten noch nie geraucht, 86 Prozent trotz der Cannabisfreigabe noch nie gekifft und 95 Prozent noch nie illegale Drogen probiert.
Auch das Rauschtrinken (Binge-Trinken) – 2012 noch von fast einem Drittel der Jugendlichen mindestens einmal pro Monat praktiziert – ließ sich den Angaben im vergangenen Jahr nur noch bei rund 12 Prozent der Jugendlichen ausmachen. Galten Mitte der 2000er Jahre zudem noch etwa 40 Prozent der Jugendlichen als Raucher, gaben nun nur noch 15 Prozent an, in den vergangenen 30 Tagen geraucht zu haben. Allerdings sei der Anteil jener Jugendlichen, die E-Zigaretten oder E-Shishas konsumieren, auf 20 Prozent gestiegen. Und der Anteil derer, die das täglich machen, sei von sechs Prozent im Jahr 2018 auf zehn Prozent im vergangenen Jahr gestiegen.
Baumgärtner: Digitalisierung ein Grund für Rückgang
«Immer weniger Jugendliche steigen in den Konsum von Suchmitteln ein und wenn sie es tun, dann tun sie es später», sagte Baumgärtner. Ein Grund für den bundesweiten Trend sei die Digitalisierung. Denn die häufigste Konsumgelegenheit sei der Freundeskreis. Man probiere eine Droge nicht alleine im Kinderzimmer aus, betonte Baumgärtner. «Das macht man mit anderen zusammen.» Im Zuge der Digitalisierung sei aber eine Qualitätsveränderung in den Freundschaftsbeziehungen festzustellen. Kurz gesagt: Einerseits treffen sich die Jugendlichen immer weniger physisch, andererseits steigt der Kontakt über digitale Kanäle.